Eigentlich hätte ich diesen Text schon längst schreiben sollen. Aus gegebenem Anlass tue ich es heute endlich.

Wie ich darauf gekommen bin, die TapetenPoeten ins Leben zu rufen? Der Käptn ist Schuld! Aber der Reihe nach und ganz vom Anfang an.

Ich verdiene mein Geld unter anderem mit dem Verfassen von – wie ich sie nenne – Gebrauchstexten. Das sind die Texte, deren Autor*innen in der Regel ungenannt bleiben, die aber im Idealfall genauso gut sein sollten, wie gute literarische Texte. In meinem Fall sind das Flyertexte, Online-Content, Produktinformationen und Gebrauchsanweisungen sowie Pressemitteilungen – zu dem überaus spannenden Thema Hygiene (Achtung, Ironie!). Hier konnte und kann ich meinen Formulierungsdrang ausleben, aber auf die Dauer ist das eine ziemlich dröge Angelegenheit, zumal wenn man wie ich seit zirka 20 Jahren für ein und den selben Hauptkunden arbeitet.

Um nicht den Spaß am Schreiben zu verlieren, habe ich irgendwann begonnen, komische Prosa zu verfassen. Das Leben ist voller Beklopptheiten, das Material für meine Texte liegt also sozusagen vor mir auf der Straße beziehungsweise kommt mir nur so zugeflogen. Die Texte landeten sprichwörtlich in der Schublade, genau genommen dümpelten sie als Dateien auf der Festplatte meines PCs herum. Jahrelang.

Eines Tages traute ich mich im KunsTraum des KaBeTe in Ramersdorf auf der offenen Bühne ein paar meiner kurzen Texte zu lesen. Das Publikum lachte darüber, und das sogar an den richtigen Stellen.

Damals wusste ich noch nicht, dass es süchtig machen kann auf einer Bühne, vor einem Publikum, im Scheinwerferlicht zu stehen. Aber ich merkte, das ich das wiederhaben wollte – wie das eben so ist bei einer Sucht. Und so trat ich etwas später auf der damals noch Kopfnuss genannten Lesebühne des Käptn in der Kultkneipe Limes auf.

Der Käptn war ein dünner Typ mit Basecap und schrillen Tattoos. Alles was er am Mikro sagte und tat war irgendwie drüber – und das Publikum liebte ihn dafür und lag ihm zu Füßen. Ich introvertiertes, untätowiertes, kleines Moppelchen mit Aversion gegen Basecaps war sozusagen der fleischgewordene Kontrapunkt zu ihm. Wo war ich denn hier hingeraten?

Ich verkackte meinen Auftritt völlig, denn ich las unter anderem einen Text, in dem ich mich über Cannabis-Konsument*innen lustig machte. Nur ein Bisschen, aber das Publikum war mehrheitlich not amused. Anscheinend waren viele Anwesende Konsument*innen dieses Rauschmittels. Nur wenige stimmten für mich. Dabei habe ich gar nichts gegen Cannabis, finde gar die aktuelle Teillegalisierung lauwarm und halbherzig. Aber selbst wenn ich etwas gut finde, ist das doch noch lange kein Grund, mich nicht lustig darüber zu machen.

Ich las in der Folgezeit auf verschiedenen Bühnen der Region, lernte mit der Zeit, wie man mit dem Publikum in einen Dialog tritt, meine Texte wurden besser. Und anstatt die Lesebühne des Käptn infolge meiner misslungenen Premiere doof zu finden, versuchte ich es wieder dort. Bald war ich zum ersten mal der Sieger der Abends. Das sollte sich im Laufe der Jahre noch ein paarmal wiederholen. Längst war ich zum Limes-Lesebühnen-Fan geworden.

Stimmung im Limes

Ende der Zehnerjahre reifte in mir die Idee, selbst eine Lesebühne zu organisieren. So sehr war ich inzwischen von der Lesebühne des Käptns begeistert. Sowas wollte ich auch machen. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass es eine rechtsrheinische Lesebühne in Bonn geben müsste. Warum, kann ich mir heute nicht mehr erklären. Manchmal hat man eben so Ideen und wenn man dann gefragt wird „Wie biste denn darauf gekommen?“, kann man bestenfalls antworten: „Ich weiß es echt nicht mehr.“

Seit mittlerweile fünf Jahren gibt es „meine“ Lesebühne TapetenPoeten. Der Name ist einfach zu erklären, denn sie findet in der Atelierbühne in der historischen Beueler Tapetenfabrik statt. Anfangs habe ich die TapetenPoeten zusammen mit der Atelierbühnen-Gründerin Vanessa Topf organisiert. Inzwischen geht sie andere künstlerische Wege und ich “mache“ die Lesebühne alleine. Gegenüber den Anfängen hat sie sich stark verändert und es hat sich ein ganz eigenes Format entwickelt. Die TapetenPoeten sind völlig anders als die Lesebühne des Käptn. Und das ist gut so, denn nichts wäre peinlicher als eine Kopie. Trotzdem bin ich mir sicher, dass ich ohne meine diversen Auftritte beim Käptn und vor dem Limes-Publikum nicht auf die Idee der TapetenPoeten gekommen wäre. Danke dafür, Käptn! Inzwischen sind einige Autor*innen bei mir aufgetreten, die auch schon im Limes gelesen haben. Und auch der Käptn himself war schon zum wiederholten mal da. Aber es waren auch schon viele Stimmen zu hören, die noch nie im Limes waren. Besonders freut mich das Altersspektrum der TapetenPoeten. Der Jüngste war gerade mal 14, der älteste weit über 80.

Inzwischen ist es so, dass das Limes am aktuellen Standort keine Zukunft mehr haben und Ende 2024 schließen wird. Und ohne Limes keine Lesebühne. Die gehören einfach zusammen. Ich betrachte das aber nur als eine Momentaufnahme. Das Limes wird auferstehen. Da bin ich mir ganz sicher. Und mit dem Limes wird die Lesebühne des Käptn weitergehen.

Ein alter Mann spürt sowas. Glaubt mir!

Bonn im November 2024
Lothar Schiefer, aka tapetenpoet